Im TV haben immer häufiger die Zuschauer die Macht über das Programm. Fast alle Sender experimentieren mit Second-Screen-Angeboten. Zuschauer können online bei der Sendung mitmischen – erstmals auch bei “Wetten, dass..?”.
“Hallo Internet”, so begrüßte Moderator Richard Gutjahr im Juni die aus dem Netz zugeschalteten Gäste seiner “Rundshow“. Die Mauern des Studios waren bei dieser Talksendung des Bayerischen Rundfunks plötzlich durchlässig geworden. Jeder, der wollte, konnte mitmachen. Von Google Hangout über Twitter bis Facebook wurden alle Onlinekanäle genutzt, um aus Couch Potatoes aktive TV-User zu machen.
Auch eine Smartphone-App mit dem treffenden Namen ”Die Macht” wurde angeboten. Damit konnten die Zuschauer abstimmen, kommentieren oder sogar eigene Inhalte hochladen. Smartphone und Computer wurden so zum Second Screen, zum zweiten Bildschirm für die Interaktion zwischen den Menschen vor und hinter der Kamera.
“Die Überraschung der ganzen Rundshow für uns alle war die App. Nicht nur, dass sie binnen weniger Tage auf Platz 11 der App-Store-Charts geschossen ist. Nach Twitter war “Die Macht” das beliebteste Tool unserer Zuschauer, mit uns im Studio Kontakt aufzunehmen. Das hätte ich vor einem Jahr, als ich die Idee dazu hatte, nie für möglich gehalten”, sagt Richard Gutjahr.
Auch “Wetten, dass?” mit Second Screen
Und wenn jetzt “Wetten, dass?” mit Markus Lanz auf Sendung geht, können sich die Zuschauer ebenfalls via Twitter, Facebook oder App in die Sendung einmischen. Wer möchte, kann sich an Abstimmungen beteiligen, an der Wahl zum Wettkönig teilnehmen sowie mit anderen Zuschauern live zur Sendung chatten. Die App ist als “Webapp” programmiert – man muss nichts weiter tun, als im Browser die webapp.wettendass.de zu öffnen.
Second Screen Apps und Social TV sind gerade die beiden großen Trends, wenn es ums Fernsehmachen geht. Denn die Zuschauer wollen nicht mehr bis zum nächsten Tag im Büro oder auf dem Schulhof warten, um sich über das gerade Gesehene zu unterhalten – sie wollen es sofort. Immer mehr Menschen nutzen ein mit dem Netz verbundenes Gerät parallel zum Fernseher.
Laut Branchenverband Bitkom sind 77 Prozent der Internetnutzer in Deutschland online, während sie fernsehen. Mit einem Anteil von 51 Prozent werden dazu besonders stark mobile Geräte genutzt, heißt es in einer aktuellen Studie.
Vielfältige Möglichkeiten
Die Möglichkeiten, die Zuschauer über diesen Weg einzubinden, sind vielfältig. Sie reichen von informativ bis spielerisch. Beim Projekt “The Spiral“ auf arte handelt es sich um ein komplex und ineinander verwobenes Projekt aus Film, Spiel und echtem Leben. Nicht ganz so weit ging der “Tatort”. In der Folge “Der Wald steht schwarz und schweiget” blieben die Ermittler den Zuschauern den Mörder schuldig, die Fahndung lief online weiter. 100.000 Zuschauer sollen sich im Netz daran beteiligt haben. Schon seit einiger Zeit gehört der “Tatort” zu den online am meist diskutierten Sendungen. Das lässt sich jeden Sonntag auf Twitter beobachten.
Auch Drittanbieter organisieren die Kommunikation rund um das Fernsehen. Apps wie Couchfunk beispielsweise ermöglichen es, sich senderübergreifend in ein Programm einzuchecken, um so eine Art spontane Zuschauergemeinschaft zu bilden.
Fernsehen erhält Rückkanal
Bei Live-Sendungen funktioniere das besonders gut, erklärt Frank Barth von Couchfunk. Das Wissen, mit einer App schnell an Informationen zu kommen, am besten noch exklusiv, sei dabei entscheidend, sagt der Marketing- und Social-Media-Experte. “Das i-Tüpfelchen ist dann eine Einflussnahme auf das Programm.”
Das lineare und eigentlich für den passiven Konsum erfundene Fernsehen wird über den Umweg Second Screen interaktiv und erhält einen Rückkanal. Der Zuschauer, das unbekannte Wesen, bekommt für die Fernsehmacher plötzlich ein Gesicht: “Was wir von unserem Publikum gelernt haben, ist die Erkenntnis, dass wir Programmmacher uns nicht länger am ‘dümmsten anzunehmenden Zuschauer’ ausrichten dürfen”, sagt Moderator Richard Gutjahr. “Die Kritik, die wir nach den ersten Sendungen von den Zuschauern über Twitter und Co. bekommen haben, war überaus wertvoll und traf den Nagel oft auf den Kopf.”
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